Satirische Sprachanalyse des Schreiben von Kardinal Marx an Bundespräsident Walter Steinmeier
Auffallend ist der hohe Ton, mit dem der Brief beginnt: „Meine große Bitte an Sie ist, die Auszeichnung nicht vorzunehmen“ – das insinuiert Menschlichkeit im Gestus des Sichkleinmachens. Der Brief geht aber in einem pathetischen Ton weiter („hohe Ehre der Verleihung“, „Staatsoberhaupt“, „wertschätzend und wohlwollend“). So bleibt die Größe des zu Ehrenden - also Marx – erhalten, an sie wird nicht gerührt. Wäre ja auch noch schöner, wenn Gruppen von Betroffenen das Podest in Frage stellen dürften, auf die man als Bischof und Kardinal gehoben wurde!
Marx trennt zwischen denen, „die Anstoß nehmen (an der Verleihung)„ und „insbesondere den Betroffenen“. Hier wird eine kleine Trennung vorgenommen. Wer trennt, trennt auch den Begründungszusammenhang: Nur Betroffene haben Kritik geäußert und sie haben in ihren Stellungnahmen konkrete Gründe des Anstoßes genannt. Auf die geht Marx in keiner Weise ein; sprich: Er nimmt sie nicht ernst, wie er weiter im Brief behauptet.
Im gönnerhaften Ton geht es weiter, „er wolle negative Interpretationen verhindern im Blick auf Menschen, denen die Auszeichnung zuteil geworden sei.“ Würde das an ihn verliehene Bundesverdienstkreuz tatsächlich die Verdienste anderer schmälern? Es ist doch eher so, dass ein unverdientes Bundesverdienstkreuz der Sache insgesamt seinen Sinn nehmen würde, gesellschaftliches Engagement in Gestalt von Vorbildern in den Vordergrund zu rücken.
„Die Kritik, die nun von Menschen geäußert wird, die von sexuellem Missbrauch im Raum der Kirche betroffen sind, nehme ich sehr ernst, unabhängig von der Richtigkeit der einzelnen Aussagen in Offenen Briefen und in der medialen Öffentlichkeit“, heißt es weiter. Das ist sehr geschickt formuliert. Marx gibt einerseits kein konkretes schuldhaftes Verhalten zu, lässt aber gleichzeitig die Möglichkeit bestehen, dass einzelne Vorwürfe, die ihm öffentlich gemacht wurden, richtig sein könnten. Es wäre ehrenhafter, er würde auf die genannten Vorwürfe eingehen und ein Geständnis ablegen. So bleibt die Aufarbeitung wieder mühsame Sache der Betroffenen oder der Recherche von umfänglichen Studien überlassen – oder, noch längere Bank: der Arbeit von Aufarbeitungskommissionen, die es bislang erst in zwei Diözesen gibt (nicht in Trier, nicht in München…).
Im Sinne der Aufarbeitung, der er sich persönlich und als Amtsträger der Kirche verpflichtet habe, „blende ich diese Kritik selbstverständlich nicht aus“. Wieder der generöse Ton, der aber alles im Ungefähren belässt.
Er hofft, „dass mir die weitere Aufarbeitung und nach Möglichkeit Heilung im Bereich von sexuellem Missbrauch in Kirche und Gesellschaft ein wichtiges Anliegen bleibt“. Das hoffen wir auch, Herr Kardinal, und bitte: Fangen Sie endlich damit an, am besten bei sich selber!
Eine auffallende Lücke klafft im Text: An keiner Stelle im Brief sagt Marx: „So, liebes Staatsoberhaupt Steinmeier, die Aufarbeitung wird eine Zeit dauern, aber danach – das kann ich Ihnen versichern, werden Sie mir mit großer Freude das Bundesverdienstkreuz überreichen können!“
Was das wohl zu bedeuten hat?
Jutta Lehnert
für MissBiT e.V.